Janos Esterhazy Familie
Die Familie des Grafen János Esterházy
Zweifellos spielt bei der Entwicklung des menschlichen Charakters und der Lebensanschauung die Familie eine bedeutende Rolle. Diese Rolle wird aber noch bedeutungsvoller, wenn neben dem elterlichen Einfluss auch eine Reihe von Ahnen beispielgebend wirken können. Daher scheint es nur natürlich zu sein, dass in der geistigen Entwicklung und Lebensanschauung des jungen János Esterházy - der seinen Vater schon im frühen Kindesalter verlor - Familientradition und das Vorbild seiner Ahnen dadurch eine noch wichtigere Rolle gespielt haben. Deswegen ist es unvermeidlich, wenigstens einen kurzen Blick auf die Familie des Grafen János zu richten, um dem Menschen und Politiker etwas näher zukommen. Die Chronisten der Familiengeschichte legen gewöhnlich viel Wert auf Burgen, Domänen, Paläste, Rangerhebungen und Auszeichnungen, die Mitgliedern der Familie im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich in großem Ausmaß zuteil wurden. Der wahre Rang dieser Familie wird aber, meines Erachtens nach, nicht von besiegelten Pergamenten, glitzernden Orden und Kronen bestätigt, sondern eher durch Leistungen einer beinahe ungebrochenen Reihe von Ahnen auf den Schlachtfeldern, bei den Konferenztischen der großen Politik und nicht zuletzt durch ihre Förderung der Kunst und Kultur. Das Geschlecht der Esterházy entstammt aus der letzten Familie der ehrwürdigen Sippe Salamon, die schon zur Zeit des Heiligen Stefan -des ersten Königs von Ungarn - auf der Großen Schüttinsel in der Donau, in der Nähe von Preßburg (Bratislava) und im Komitat Veszprém in Ungarn gelegen, sesshaft waren. Das erste urkundlich erwähnte Mitglied dieser Sippe war Mocud de genere Solomun, der im Jahre 1186 von König Bela III. beauftragt wurde, in einer Rechtsangelegenheit mitzuwirken. Aus dieser Sippe stammend, haben sich mit der Zeit die Esterházys -damals Zerhás de Salamon-Watha" oder "de Zyrház" genannt - selbständig gemacht. Zur Zeit des Herrn Benedek, um 1550, hat sich dann die Familie im als Heiratsgut erworbenen Galánta, ebenfalls in der Nähe von Preßburg gelegen, niedergelassen und den Namen "Esterhás de Galántha" angenommen. Der Aufstieg und das Erscheinen der Esterházys in den Blättern der Geschichtsschreibung fällt mit dem Kampf des christlichen Europa gegen das Eroberungsheer der türkischen Sultane zusammen. Einer Privatarmee gleich, stellte sich die Familie während des 17. Jahrhunderts diesem Kampf, weder Vermögen noch Blut schonend. In diesem Kampf opferten die Besten zweier Generationen ihr Leben. Im Jahre 1652, in nur einer Schlacht bei Vezekény, fanden vier Esterházys den Heldentod. Es war daher auch kein Zufall, dass noch in einer der letzten Schlachten gegen die Türken, im Jahre 1789, wieder Esterházysches Blut die Mauern von Belgrad färbte. János Graf Esterházy mit Sohn
Aber wir treffen auf die Esterházys auch in den verschiedenen Freiheitskämpfen Ungarns. Trotz ihrer traditionellen Loyalität zur Krone zogen zahlreiche Esterházys in den Konflikten zwischen Ungarn und den Monarchen, auch gegen ihre Prinzipien und eigenen Interessen, das Schwert für die Nation. Andere dienten mit ähnlicher Hingabe dem Vaterland als Staatsmänner und Diplomaten. Wieder andere haben bedeutend zur kulturellen Entwicklung ihres Vaterlandes beigetragen. Das Lexikon der Ungarischen Literatur enthält die Namen von einem Dutzend von Esterházys, die verschiedene literarische Werke veröffentlicht haben. Im Bereich der Musik waren die Esterházys nicht nur großzügige Mäzene, sondern viele waren auch begabte, ausübende Musiker, und wenigstens einer wurde auch als Komponist bekannt. Unzählige religiöse und weltliche Bauten, Kirchen, Bibliotheken, Schulen und Spitäler wie auch ihre Kunstsammlungen sind heute noch Zeugen des großzügigen Beitrages dieser Familie zum Kulturschatz dreier Länder. Drei Söhne des Franz Esterházy (1532-1604), Enkelkinder des oben genannten Benedek, gründeten die bis heute bestehenden drei Hauptlinien der Familie. Von Graf Nikolaus, dem Palatin, Landesrichter und Vliesritter, stammen die "Forchtensteiner" fürstlichen und gräflichen Linien, von Baron Daniel der gräfliche "Cseszneker" und von Baron Paul die gräfliche "Altsohler" Linie ab. Die Cseszneker Linie der Familie Esterházy - Erbherren zu Burg Csesz-nek -, aus welcher auch Graf János entstammt, hatte wohl ihre eigene Tradition. Der Stammvater dieser Linie, Baron Daniel (1585-1654), diente seinem Vaterland sowohl mit dem Schwert als auch später in diplomatischen Missionen. Von seinen acht Söhnen starben vier auf dem Schlachtfeld. Unter den überlebenden Söhnen finden wir solch hervorragende Soldaten wie General Graf Johann (1625-1692), der Raab gegen die Türken erfolgreich verteidigte, Baron Sigismund, Burghauptmann von Verebely, und Michael, ein Oberst der Kavallerie, der bei der Eroberung von Buda gefallen ist. Die Cseszneker Linie brachte aber auch bedeutende geistliche Männer hervor, wie Emerich, Fürstbischof von Gran, der Maria Theresia gekrönt hat und über hundert Kirchen und Schulen in den von den Türken befreiten Regionen errichten ließ; seinen Namensvetter Emerich, Bischof von Neutra; Ladislaus, den tiefgläubigen Bischof von Fünfkirchen, sowie Ladislaus, den wohltätigen Bischof von Rosenau. Zusammen mit acht aus der Cseszneker Linie stammenden Generälen, zahlreichen Staatsmännern und Diplomaten leisteten sie alle einen bedeutenden Beitrag zu Kirche, Staat und Kultur.
Unter den direkten Ahnen des Grafen János befinden sich Persönlichkeiten wie zum Beispiel der oben erwähnte Oberst der Kavallerie Baron Michael (1629-1686), der im Alter von beinahe sechzig Jahren, an der Seite seines Bruders Johann kämpfend, bei der Eroberung von Buda gefallen ist. Sein Ur-Urgroßvater, Johann Nepomuk (1754-1840), war unter anderem Wirklicher Geheimer Rat, Türhüter des Königreichs Ungarn und Obergespan von drei Komitaten. Er war ein nennenswerter Förderer der Kunst und Wissenschaft und Gründer einer europaweit berühmten Münzsammlung, die sein Sohn dem Museum von Klausenburg schenkte. Sein Beitrag zur Neugestaltung der Unterrichtspolitik und des Schulwesens in Ungarn war von besonders großer Bedeutung. Er war mit Gräfin Agnes Bánffy de Losoncz, Patenkind und "Ziehtochter" von Kaiserin Maria Theresia, verheiratet. Dessen Sohn Michael (1783-1874), k. u. k. Kämmerer, Führer der konservativen Opposition und später Präsident der Magnatentafel, bekannte sich im Freiheitskampf von 1848/49 zur nationalen Seite und wurde Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates sowie Regierungsbeauftragter des Waffen- und Munitionsversorgungswesens, wofür er nach dem verlorenen Krieg mit fünf Jahren Festungshaft büßen musste. Im Privatleben war er ein begeisterter Förderer der Künste und großzügiger Mäzen vieler Künstler. In seinem Preßburger Palais gab der damals neunjährige Franz Liszt sein erstes öffentliches Konzert. Der Großvater, Graf Stefan (1822-1899), ein Abgeordneter der Ungarischen Nationalversammlung und Obergespan des Komitates Preßburg, diente auch im Freiheitskampf von 1848/49 als Rittmeister der Husaren und Adjutant des Generals von Görgey, wofür sein Besitz konfisziert wurde und er in einem Strafbataillon der k. k. Armee als gemeiner Soldat dienen musste. Nach solch schicksalsschweren Jahren heiratete er Baronin Gisella Jeszenák, Tochter des vom k. k. Kriegsgericht zum Tode verurteilten Freiheitskämpfers Baron János Jeszenák de Királyfia. Von den beiden Söhnen des Grafen Stefan ist der jüngere, namens Julius, im Jahre 1916 im Ersten Weltkrieg gefallen, nachdem er sich, obwohl weit über der Altersgrenze, freiwillig zum Dienst gemeldet hatte. Der ältere, Johann Michael (1864-1905), k. u. k. Kämmerer, wählte die militärische Laufbahn. Er diente als Rittmeister im Kavallerieregiment Kaiser Wilhelms II., war Adjutant des Feldzeugmeisters Erzherzog Otto und trat schließlich vom Dienst zurück, um sich der Politik zu widmen. Als Vertreter einer liberalen Einstellung gegenüber den in Ungarn sesshaften Minderheiten stellte er über die Probleme der nationalen Minderheiten eine umfassende und gut dokumentierte Studie zusammen, die später die diesbezüglichen Anschauungen seines Sohnes János bedeutend beeinflusst hat. Er heiratete Elisabeth Gräfin Tarnowska, Tochter des Grafen Stanislaus, Geheimrat und Präsident der Krakauer Akademie der Wissenschaften. Auf die allzu früh verwitwete Gräfin Elisabeth fiel die Verantwortung, ihre drei vaterlosen Kinder traditionsgemäß die Hochachtung und Liebe für das Vaterland und die Pflicht, dessen Völkern zu dienen, zu lehren. Wenn Sie nach Vorbildern suchte, die sie ihren Kindern als nachahmenswertes Beispiel vorweisen konnte, brauchte sie, wie wir gesehen haben, nicht weit zu blicken. Sie hat ihre Kinder János, Luisa und Maria nicht nur musterhaft erzogen, sondern sie blieb auch ihr Leben lang für diese eine hochgeschätzte Wegweiserin in allem, was Pflicht und Moral betraf. János Esterházy erzählte in einer seiner Reden, dass man ihn als Vierjährigen zum Sterbebett seines Vaters gerufen hatte, der sich von ihm mit den Worten verabschiedete: "Sei immer ein braver Ungar." "Ich hätte nie begreifen können, was diese Abschiedsworte meines Vaters bedeuten, wenn mir nicht meine Mutter zur Seite gestanden wäre, der jetzt, nach Gott, mein innigster Dank gebührt. Ihr, die trotz ihrer fremden Herkunft sich so stark mit den Ungarn identifizierte, dass heute jeder ihrer Herzschläge der ungarischen Sache gilt." Gedenktafel für János Graf Esterházy in Budapest
Schon dieser kurze Blick in den familiären Hintergrund sollte genügen nachzuvollziehen, was Graf János dazu bewog, sein Leben und seine Talente ohne Bedenken der schwer benachteiligten ungarischen Minderheit in der neu entstandenen Tschechoslowakei zu widmen. Das ehemalige Nordungarn, die heutige Slowakei, spielte in der beinahe 800 Jahre alten Geschichte der Familie Esterházy stets eine bedeutende Rolle. Sie betrachtete es immer als ihre, im engsten Sinne, genommene Heimat. Dort, an der Insel Schutt, stand die Wiege ihrer Urahnen, und dort liegt auch Galánta, ihre namengebende Ortschaft. Die Asche vieler ihrer großen Ahnen ruht in der Gruft der Sankt-Johannes-Kirche von Tyrnau (Trnava); aber Esterházys sind auch in Domanis (Domaniza), Nyitra-Ujlak (Velké Záluzie) und Kaschau (Kosice) begraben, und in der Sankt-Martins-Kathedrale zu Preßburg haben die sterblichen Überreste des großen Fürstbischofs Emerich Esterházy die ewige Ruhe gefunden. Im Komitat Preßburg standen ihre Schlösser in Galánta, Lanschütz (Bernolakovo), Abraham, Szene (Senec), Szered, Tallós (Tomasikovo) und Zseliz (zeliezovce), wo sie mit Franz Schubert musiziert haben. Ihre Ahnen haben die Völker dieser Region verteidigt, ob slowakischer oder ungarischer Abstammung. Sie waren ihre Waffenbrüder im jahrhundertelangen Kampf gegen die Türken. Wo auch immer sich János Esterházy in der heutigen Slowakei aufhielt, folgte er den Spuren seiner Ahnen. Daher ist es selbstverständlich, dass er nach Gott und Familie an diesem ehemaligen Nordungarn hing, dessen Völker er liebte und denen er diente, auch dann noch, als es letzten Endes um sein Leben ging. Obwohl er für seine selbstlose Hingabe an Pflichten und Prinzipien nicht auf dem Schlachtfeld gefallen ist, sondern im Gefängnis sein Leben opferte, fügte er sich doch bestens in die noble Reihe seiner Ahnen.
Laszlo Berenyi
aus "Graf János Esterházy", Gábor Szent-Ivány, Wien;Köln;Weimar: Böhlau Verlag, 1995 Seite 77-81